Letztes Jahr wollte ich mit einer Gruppe von Freunden, bestehend aus Gernot, Mara, Matzi, Philipp, Stefan, Tanja und eben mir, eine Wanderung unter dem (zugegeben leicht übertriebenen) Codewort „Alpenüberquerung“ unternehmen. Daraus ist dann leider wetterbedingt nichts geworden, aber heuer soll es passen: Wir nehmen das Hochtor (2369 m), den höchsten Gipfel im Gesäuse in Angriff! Da ich noch nie im Nationalpark Gesäuse wandern war, ist die die Vorfreude riesengroß!
Weil der Aufstieg mit 1500 Höhenmetern relativ lang ist und das gemütliche Hüttensitzen natürlich auch dazu gehört, planen wir eine Übernachtung auf der Hesshütte (1699 m) ein.
Interessant ist auch noch, dass es auf das Hochtor keinen „normalen“ Wanderweg zum Gipfel gibt: Jeder der Aufstiege ist ein alpiner Steig, hat leichte Kletterpassagen, ist oft ausgesetzt und teilweise versichert. Es handelt sich dabei aber auch nicht um richtige, durchgehend versicherte, Klettersteige. Da Philipp bisher nur das Grazer Bergland kennt und noch nie richtig im alpinen Gelände war, sind wir etwas skeptisch. Aber als er sich die Tour im Internet ansieht, scheint es für ihn machbar zu sein und etwas Klettererfahrung hat er vom Bouldern auch. Ein mulmiges Gefühl bleibt, aber wie schlimm kann es schon werden? Wanderungen mit „Trittsicherheit und Schwindelfreiheit“ sowie „Nur für Geübte“ haben wir schon genug in den Beinen und im Kopf. Auf ins Abenteuer!
Tag 1: Auf die Hesshütte und das Hochzinödl (2191 m)
Der Wetterbericht für heute ist nicht optimal: Zur Mittagszeit könnte es etwas regnen oder auch gewittern, ansonsten ist es sonnig und warm. Die ursprüngliche Variante mit einem Aufstieg vom Gasthaus Kölblwirt in Johnsbach bis zum Hochtor-Gipfel über den Schneelochsteig ist uns zu riskant. Sicherheit geht vor!
Daher starten wir zwar auf dem gleichen Weg, gehen dann aber bei der Unteren Koderalm weiter zur Hesshütte. Der Weg bis dorthin verläuft stetig steigend und idyllisch durch den Nationalparkwald. Bei der Abzweigung angekommen, hat man einen ersten imposanten Blick zum Gipfel. Auch das Schneeloch ist hier zu sehen. Insgesamt kommt einem der Berg an dieser Stelle schon gewaltig vor, und man selbst ist nur winzig klein. Der Berg ist hier der Chef, wir sind nur zu Gast hier.
Es geht weiter hinauf, vorbei an einer kleinen Alm, einem Brunnen und eingekesselt von den Bergen. Auf der östlichen Seite ist bald das Hochzinödl zu erkennen und wenig später kommen wir auch schon bei der Hesshütte an! Diese liegt auf einem Sattel zwischen Hochtor und Hochzinödl und ist daher auch ein beliebter Stützpunkt für Wanderungen auf beide Gipfel.
Da es keine CDH07-Wanderung ist (auch wenn einige Teilnehmer dabei sind), ist das Tempo auch eher gemächlich. Nichtsdestotrotz haben wir bis zur Hütte nur 2:20 Stunden benötigt. Da wir alle noch fit sind, noch immer keine Regenwolken in Sicht sind und wir bis zum Abendessen noch etwas Zeit haben, gehen wir noch das Hochzinödl an. Im Gegensatz zum Hochtor ist dieser Berg relativ gemütlich: Anfangs wandert man etwas steiler durch Latschen, erreicht bald die Baumgrenze und geht dann bei angenehmer Steigung weiter zum Gipfel.
Dort angekommen (aber auch schon den ganzen Weg herauf, wenn man rückwärts gehen würde) hat man einen respekteinflössenden Ausblick auf die gewaltigen Ostwände des Hochtors. In riesigen Felsstufen fällt der Berg hier ab. Die Hesshütte darunter ist winzig klein.
Jeder von uns ist immer am Überlegen wo hier bitte eine Route raufgehen soll. Anfangs sieht man noch einen Weg von der Hütte durch Latschen, aber nach einem Geröllfeld endet der sichtbare Weg irgendwo in der Wand. Von hier aus sieht alles steil, schwierig und ausgesetzt aus. Vor allem wenn man bedenkt, dass der Steig im oberen Bereich entlang des Grates verläuft. Aber wir vertrauen auf viele, viele Jahre Erfahrung der Bergsteiger von früheren Generationen, welche hier bestimmt den optimalen Weg auf die Gipfel gefunden haben.
Das „Reim-Genie“ Stefan verewigt uns noch mit einem Gedicht im Gipfelbuch und danach gehen wir weiter Richtung Norden über den Panoramaweg zurück zur Hütte. Hier erwarten uns noch Tiefblicke zur Enns, eine Aussicht auf den Großen Buchstein und auch ein paar Gämse laufen uns über den Weg! „Hurra die Gams, Hurra die Madln…“ ist von nun an der Ohrwurm.
Danach lassen wir den Abend in der Hütte gemütlich ausklingen. Obwohl hier heute 120 Leute übernachten, ist alles perfekt organisiert. Die meisten Schlafräume sind in einem direkt angeschlossenen Nebengebäude, wir haben Räume für uns alleine und mit der Nachtruhe um 22:00 Uhr wird es auch nicht so genau genommen. So können wir bei Enzianschnaps und anderen Köstlichkeiten noch ein paar Kartenrunden spielen, bevor wir uns für den morgigen Tag ausruhen.
Tag 2: Hochtor über den Josefinensteig
Nach einem ausgiebigen Frühstück starten wir um 09:45 Uhr das alpine Abenteuer.
Nach dem kurzen Weg durch Latschen kommen wir zum Schotterfeld, wo uns schon die ersten Wanderer vom Abstieg entgegen kommen. Dafür, dass sie gestern in der Hütte so Gas gegeben haben, sind sie aber schon ziemlich früh wieder vom Gipfel zurück, denken wir uns. Wenn die das schaffen, schaffen wir es auch! Gleich darauf sagen sie uns, dass sie nur einen kurzen „Ausnüchterungsspaziergang“ gemacht haben und bei der ersten schwierigeren Stelle ein paar Meter weiter umgedreht haben.
Kurze Zeit später sind wir an besagter Stelle, setzen unsere Helme auf und klettern die ersten versicherten Meter am Fels hinauf. Nach dieser Aufwärmübung geht es einige Zeit auf einem relativ normalen Weg steil nach oben weiter. Wir gewinnen schnell an Höhe und es wird immer ausgesetzter. Aktuell schlägt sich Philipp noch gut, aber Gernots „also wenn du hier hinterfällst, stirbst fix!“ Aussagen steuern nicht unbedingt zur Besserung seiner Laune bei.
Seit einiger Zeit ist jeder Meter unbedingt trittsicher zu gehen. Ich bin zwar heuer schon einige Klettersteige gegangen, aber ungesichert in so steilem Gelände ist es doch etwas anderes. Bald geht der Weg in ein Schotterfeld über und wir treffen wieder auf Gegenverkehr. „Ist alles kein Problem und die schwierigeren Stellen sind eh gesichert“, war die Antwort auf unserer Frage nach der weiteren Schwierigkeit bis zum Gipfel. Wenn man diesen Steig – wie sie wahrscheinlich – schon 200 Mal gegangen ist, mag das vielleicht stimmen. Das mulmige Gefühlt bleibt, aber wir gehen weiter.
Von nun an sind immer mehr Stellen mit Seilen versichert. Meist sind die Passagen aber zu kurz, damit ein Klettersteigset Sinn machen würde und im Aufstieg ist der Fels angenehmer zum Klettern als das Seil.
Dann kommen wir hinauf auf den Grat. Auch wenn hier genug Platz für die ganze Gruppe ist, ist diese Stelle nichts für schwache Nerven: Im Nordosten geht es senkrecht 400 Meter bergab, im Osten sieht man 500 Meter extrem steil den Aufstiegsweg hinunter und südwestlich ist 500 Meter unter einem das Schneeloch. Zusätzlich geht der Steig nun südwestlich mit einer ungesicherten und unangenehmen kurzen Kletterstufe weiter.
Philipp ist mittlerweile weit von seiner Komfortzone entfernt, kämpft aber weiter. Jetzt umdrehen bringt auch nicht mehr viel. Der schwierigste Abschnitt ist geschafft. Der Berg ist stetig immer etwas schwieriger geworden, so dass nie der eine Moment gekommen ist, wo es zu viel geworden wäre. Da Tanja heuer noch nicht so viel Klettererfahrung sammeln konnte, ist es auch für sie herausfordernd, aber mit ihrer Erfahrung doch bewältigbar. Die restliche Gruppe ergötzt sich wiederum an dieser alpinistischen Herausforderung!
Von nun an queren wir die Südwestwand weiter zum Gipfel. Es ist durchgehend ausgesetzt, der Weg ist oft nur durch Markierungen zu erkennen und nur wenige Passagen sind gesichert. Bis auf die oben genannte Kletterstufe ist alles technisch nicht außerordentlich schwer, mental jedoch nicht zu unterschätzen. Ein letztes Mal geht es noch hinauf und wir kommen auf dem Gipfel an!
Auch wenn das Wetter grundsätzlich schön ist, verdecken uns viele Wolken leider die Aussicht.
Da es schon fast 13:00 Uhr ist, halten wir die Pause kurz und begeben uns über den selben Weg in den Abstieg. Dieser ist oft gefährlicher als der Aufstieg: Man ist schon etwas müde, rutscht leichter aus, da man sowieso schon hinunter geht und da man ständig nach unten sieht, ist es mental auch nicht leichter. Ich persönlich habe mich jetzt schon besser an die Tiefblicke gewöhnt und fokussiere mich darauf, dass jedes Mitglied der Gruppe heil runterkommt. Schritt für Schritt kommen wir voran und erreichen bald wieder den Beginn des Grates. Jetzt noch die steilen versicherten Bereiche und danach in Serpentinen hinunter. Am Ende dieses alpinen Teils werden wir nun belohnt: Neben dem Weg genießt eine Gruppe Murmeltiere die Nachmittagssonne! Kurze Zeit später kommen wir alle wieder gesund bei der Hütte an. Für den Abstieg benötigten wir gleich lang wie für den Aufstieg: 2,5 Stunden.
Nach einer späten Mittagspause bei der Hütte sind noch einmal zwei Stunden Abstieg ins Tal am Programm. Zum Glück jedoch wieder auf einem normalen Wanderweg.
Bei der Koderalm blicken wir noch einmal respektvoll nach oben zum hell erleuchteten Gipfelbereich. 45 Minuten später erreichen wir den Parkplatz. Daneben fließt der eiskalte und glasklare Johnsbach, wo wir zum Ausklang noch etwas die Füße kneippen.
Zusammenfassung
- 2 Tage
- 26 km
- 2000 Höhenmeter
- 11:45 Stunden Gehzeit
Erkenntnisse
- Die Enzianpflanze steht unter Naturschutz, aber trotzdem gibt es Enzianschnaps. Wie geht das? Lösung: Das Ausgraben der gelben Enzianwurzel ist streng limitiert!
- Das Hochtor ist einer der schwierigsten „Wanderwege“, die ich kenne: Der Steig von der Hesshütte ist fast durchgehend ausgesetzt und alpin. Besondere Schwierigkeit aufgrund der Länge und da der Abstieg über den Aufstiegsweg verläuft (bzw. die Alternative über den Schneelochsteig nicht leichter ist).
- Ein großteils ungesicherter und ausgesetzter Wanderweg ist mental anspruchsvoller als ein Klettersteig.
- Man sollte niemals Unerfahrenen die letzte Entscheidung über eine Tour überlassen.
- Philipp wird nie wieder mit uns wandern gehen.